Ein Buch bringt Licht in ein dunkles Kapitel der argentinischen Geschichte: Der ehemaligePräsident Juan Domingo Peron hat nach dem Zweiten Weltkrieg im grossen Stil Nazisin sein Land geschleust. Schaltzentrale waren der Vatikan und die Schweiz.

• SANDRA WEISS, BUENOS AIRES

Einschüchterungen, verbrannte Archive, abwiegelnde Antworten unwilliger Zeitzeugenund ebenso unwilliger Behörden und eisernes Schweigen in der argentinischen Presse:Das waren die Reaktionen auf das Buch eines argentinisch-amerikanischen Journalisten,der ein Tabu bricht: In «La autentica Odessa» dokumentiert Uki Goni erstmals und nahezulückenlos das Netz, das der argentinische Präsident Juan Domingo Peron (1946 1955)im Einvernehmen mit Schweizer Behörden und dem Vatikan aufgebaut hat, um Nazi-Kriegsverbrecheraus dem Nachkriegs-Deutschland herauszuschleusen. Für die Peronisten, die noch immerdie Macht in Argentinien haben, ist das Buch eine Art Majestätsbeleidigung. Ein Ableger in BernMinuziös dokumentiert der Autor in dem 401 Seiten umfassenden Werk, wie die direktim argentinischen Präsidentenpalast angesiedelte Zelle unter Leitung des Deutsch-ArgentiniersRodolfo Freude operierte. Die Aktivitäten des Schweizer Ablegers in der Marktgasse49 in Bern, in der die Operation nicht nur finanziell abgewickelt wurde, sondern auchFluchtrouten ausgearbeitet und Nazis mit falschen Papieren versehen wurden, koordinierteder SS-Offizier Carlos Fuldner mit einem argentinischen Diplomatenpass versehen. Eroperierte laut Goni mit Unterstützung des damaligen schweizerischen JustizministersEdouard von Steiger, Bundesrat von 1940 1951, und dem berüchtigten Polizeichef HeinrichRothmund.

Dass die Nazis nicht vereinzelt und auf eigene Faust nach Argentinien kamen, wie vieleHistoriker im Einklang mit der offiziellen argentinischen Geschichtsschreibung bisherbehaupteten, beweisen laut Goni etwa die aufeinander folgenden Nummern der Einwanderungsaktenfür Verbrecher wie Josef Mengele und Erich Priebke. Viele von ihnen wurden kaum inArgentinien angekommen und des Spanischen nicht mächtig von Peron empfangen.

Goni räumt auch mit dem Mythos auf, die argentinische Regierung sei nur an deutschenTechnikern und Rüstungsexperten zum Aufbau der heimischen Kriegsmaschinerie interessiertgewesen. «Ich habe ohne grössere Anstrengungen in den Akten der Migrationsbehördezweifelsfrei 300 Kriegsverbrecher identifziert», sagte er im Gespräch mit dieser Zeitung.

Die Verwicklung der katholischen Kirche und des Vatikans in die Operation belegt Goniebenfalls auch wenn die Kirchenoberen kompromittierende Dokumente weiterhin unterVerschluss halten. Als das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Buenos Aires aufgrund des BuchesAufzeichnungen zu einem Treffen des argentinischen Kardinals Antonio Caggiano miteinem Vertreter des Vatikans 1946 einsehen wollte, kam die ausweichende Antwort derargentinischen Bischofskonferenz, sie habe es damals noch nicht gegeben und niemanderinnere sich an so ein Treffen. «Wir hätten uns da schon ein wenig mehr Kooperationsbereitschafterhofft», kritisiert Sergio Widder vom Wiesenthal-Zentrum. Eine Kommission ohne BissFür einen kleinen politischen Skandal sorgte die Enthüllung Gonis, dass kompromittierendeAkten der argentinischen Einwanderungsbehörde 1996 verbrannt wurden. Das war justein Jahr, bevor die Regierung des damaligen Präsidenten Carlos Menem die Gründungeiner Kommission zur Aufklärung der Nazi-Aktivitäten in Argentinien (Ceana) einrichtete.Drei Tage gehörte auch Goni der Kommission an, dann trat er zurück, «weil ich denEindruck hatte, dass die einige Dinge gar nicht so genau wissen wollten».

Auch Widder sagt, die Kommission habe noch zahlreiche Fragen offen gelassen. Goni,dessen Vater in den 30er-Jahren argentinischer Botschafter in Wien war, wusste beispielsweisevon einer Anweisung des Aussenministeriums aus dem Jahr 1938, asylsuchende Juden abzuweisen.Die Historikerin Beatriz Gurevich fand das besagte Dokument und wurde daraufhin vonihren Kollegen der Ceana-Kommission angegriffen. Weiterer Zugang zu Archiven wurdeihr verweigert. Das Wiesenthal-Zentrum beantragte auch von diesem Dokument eine Kopiebeim Aussenministerium. Die Anfrage wurde bis heute nicht beantwortet.

Schlüsselfiguren wie Freude wurden niemals von der Kommission vorgeladen, obwohl diesedazu das Recht hatte. Freude, der damals auch Perons Geheimdienst aufbaute, lebt noch.Sein Büro ist in einem Büroturm im Herzen von Buenos Aires im gleichen Gebäude wiedie deutsch-argentinische Handelskammer, der deutsche Club und die Bücherei des Goethe-Instituts.Nie hat er auf Gonis Anfragen geantwortet. Der Schock blieb aus«Ich hatte ursprünglich die Hoffnung, eine Art heilsamen Schock auszulösen», sagtGoni. Doch offenbar seien die Argentinier nicht willens, die eigene Vergangenheitehrlich aufzuarbeiten und zwischen Gut und Böse einen klaren Trennstrich zu ziehen.«Wer mit Eichmann und Mengele zusammenlebte, der arrangiert sich auch mit einer Militärdiktatur»,ist sein Fazit.

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